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---Bahn Zeit - Mitarbeiterzeitung der Deutschen Bahn AG (11/01)---

Lokführer spielt harte Klänge in der Diskothek

Sein Künstlername ist Jean Bach, im richtigen Leben heißt er Sascha Schierloh, kommt aus Hamburg, ist 26 Jahre alt, Musiker ­ und Lokführer bei der Bahn in München. Vor fünf Jahren hat Schierloh seine Karriere als Musiker und DJ angefangen. Schon während der Schulzeit in Hamburg spielte er seine Musik beim Offenen Kanal und beim lokalen Freien Sender Kombinat. Seine Musikrichtung ist modern: elektronische und experimentelle Musik sowie die eher harte Richtung Industrial. Schierloh ist gefragt. Bekannte Diskotheken wie die Rote Flora in Hamburg oder das l-o-k in München buchen oft den Lokführer aus München.


---Takt - Nahverkehrszeitung der Deutschen Bahn AG (11-12/01)---
























---neue szene augsburg 09/01---

Jean Bach

"What do you mean, Augsburg is approaching?!"

Zeit für Zärtlichkeit. Was sich hier als erster Satz so angenehm liest, vielleicht sogar vom geneigten Leser als recht überraschende, aber aparte Offerte seitens des Autors an ihn empfunden werden könnte, ist in Wirklichkeit der Titel einer Platte. Derjenige des - lang ist's her - ersten Albums von Jean Bach. - ...but, who the fuck is Jean Bach? Jean Bach, von Beruf Zugführer bei der DB, ist eine Lichtgestalt, ein Gott des elektronischen Minimal Noise, hinter der sich die Laptop-Szene San Franciscos verstecken kann. - Lokführer sein. Platten machen. Im "De:bug" und NEUE SZENE Beachtung kriegen. All sowas erzeugt Neid. "Das ist doch ein absoluter Durchschnittstyp, der sich gerade in die Hose gepinkelt hat und zur Tarnung am Meer liegt", musste sich Jean Bach einmal über sich anhören. NEUE SZENE-Mann Martin Schmidt, selbst auch nicht gerade eine Schönheit, muss solche Sätze jeden Tag hören. Aufgrund seines sensiblen Zuhörenkönnens jedoch dennoch bei Frauen und Schwulen gleichermaßen als Seelsorge-Teddy beliebt, war er der richtige Mann für's Interview. Interview? Eigentlich haben die beiden bis in die Nacht nur zusammen Platten angehört. Italo-Disco aus den Achtzigern. Schmidt: "Hauptsache, ich kriege die Kohle für den Artikel". Jean Bach: "Ja.". Na fein.


Die Jean-Bach-Blütentherapie
War die Debüt-Platte von '99 ein Blumenstrauß aus genial-verstörendem Tongue-in-Cheek-Lärm, so hat sich das Schaffen des Noisefloristen Bach inzwischen Richtung Autechre und Aphex Twin verschoben, dabei stets gezielt unterwandert - oder verhält es sich anders herum? - von Italo-Eurodance der 80er, EBM, Techno-Relikten, Deutschem Schlager und "Rotterdam"-Label-beeinflusstem Gabber. Klingt krude, ist krude. Lärmige Knurschpel-Crispies treffen gar auf entstellte, aber herzige Cover von Savage Garden oder Dismember(!), Industrial takes its right und "Rephlex" schaut um die Ecke. Do the Destro.

Vorsicht beim Schließen der Türen
Genau. Jean Bach ist Zugführer, und auch den Triebwagen des am Unglück in Eschede beteiligten ICEs, der immer noch im Einsatz ist (Triebwagen-Nr. 401051-8), hat er schon mal gefahren. Außerdem kommt er ursprünglich aus Hamburg. Dann folgte - der Liebe wegen, Zeit für Zärtlichkeit und Claudia - der Umzug. Von Ham nach Augs. Burg, natürlich, und: Göggingen, freilich. In die gleiche Straße, wo auch das Gemeindezentrum der religiösen Gemeinschaft der Mormonen liegt. - Wenn Jean Bach wüsste. Wenn die Mormonen wüssten. Wer vorher schon Bescheid wusste: die Augsburger Labels und Repräsentanten coolen Wissens "Dhyana" und "Playmade". Get connected. Bitte zurücktreten.

Drafi Deutscher and the gates of hell
Jean Bach. Impliziert der Name, sein Träger sei einer der Hauptinitiatoren des Christopher Street Day's, so führt die wahre Antwort auf die Herkunft des Pseudonyms eher geradewegs in den darken, darken Darkroom des - Deutschen Schlagers. Abgründe öffnen sich and hell awaits. Jean pflegt eine ungesunde Passion für deutschen Schlager und besitzt ein unschlagbares Orkus-Wissen. Wussten Sie, dass Harald Juhnke Synchronsprecher für Marlon Brando ist? Dass Dieter Bohlen das letzte Album Roy Blacks "Rosenzeit" produziert hat? Ted Herold eigentlich Harald Schubring heißt? Und ein Pseudonym Drafi Deutschers "Renate VaPlus" lautet (ist ihm wohl im Casino eingefallen... - got it?!)?. Jean Bach weiß es. Und so setzt sich auch sein Pseudonym in Vor- und Nachname aus zwei Referenzen an zwei Übergrößen des Herzens-Business' zusammen. Da wäre: Jean Frankfurter, Entdecker von Patrick Lindner und Komponist für Nicole, Ireen Sheer, Costa Cordalis, Bata Illic, die großen Die Flippers, Claudia Jung, Andy Borg, Die Paldauer und die mindblowing Kastelruther Spatzen. Und Kristina Bach, Zimtzicke galore des aktuellen Schlagers, lieferte den Nachnamen. Die Neigung des Schicksals, Tautologien ironisch zu stützen, führte dann auch dazu, dass Jean Bach, nachdem er einen Namen hatte, sich auch schnell einen machte. Was die Wenigsten, auch die Mormonen nicht, in Augsburg wissen, ist, das Bach, dank einer Flut diversester VÖ's (u.a. über "Staalplaat"), in der internationalen Szene mehr als guten Ruf genießt. Augsburg rules.

Fährt ein Zug nach Irgendwo
Klaro, dass, wer Zugführer ist, sich von der gebotenen Noisepalette des Arbeitsplatzes inspirieren lässt. Sample your life! Nicht nur Elvis Presley hat - ein feiner Zug - mit "Love Me Tender" den Dampflokfahrern ein zärtliches Tribut gestiftet; - auch Mr. Bach setzte seinem Schichtdienst-geplagten Berufsstand ein würdiges Denk- und Lärmmal: "Go train go" hieß das schneeweiß gehaltene Vinyl, das - allerdings mehr Apokalypse als Apotheose - auf dem Label des derzeit sehr gehypten Kid 606 erschien, und das neben Avantgarde-Noise'leien auch Zugführergehäuse-Sounds und die kryptischen Eigengeräusche eines (stehenden!) Speisewagens verhandelt. Call it Mitropa-Drone.

Der Unfall, der Vollbart und das Glas Akazienhonig
Zum Schluss ein Anekdötchen. Während der Foto-Session mit Jean Bach am Augsburger Bahnhof stürzte, wenig entfernt, ein schätzungsweise 120jähriger, älterer Mann vom Wartesteig direkt auf die Gleise. Ein Bahnbeamter und ich halfen unter Einsatz unserer schlechtbezahlten Leben dem Herrn wieder ans rechte Ufer. Jean Bach passte solang auf die Digi-Cam auf, hat aber - natürlich - kein Foto davon gemacht. Da hätte man doch mal zeigen können, was für feine Kerls bei NEUE SZENE und Bundesbahn arbeiten. Dann, auf dem Weg nach Hause, sah ich noch einen Mann mit Unterkiefer-Piercing im Vollbart, das sah lustig aus, und dann hab ich mir im Edeka ein Glas Akazienhonig gekauft. Was soll man da noch sagen. Go train go!

Martin Schmidt


Literaturtipps (aus Jean Bachs Bücherschrank):
Triebfahrzeugführer ICE. Hrsg. vom Bildungs- und Förderungswerk e.V. der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands. 1. Aufl. Neumarkt/Oberpfalz: Zukunft-Verlag 1997.

Bardong, Matthias et al. (Hg.:): Das Lexikon des deutschen Schlagers. Geschichte. Titel. Interpreten. Komponisten. Texter. 2., erweiterte und überarbeitete Auflage. Mit einem Vorwort von Christian Bruhn. Mainz: B. Schott's Söhne 1993.

Preuss, Erich: Eschede, 10 Uhr 59. Geschichte einer Eisenbahnkatastrophe. München: Geramond 1998.

Semmes, Peter: Katastrophen auf Schienen. Eine weltweite Dokumentation. Stuttgart: Transpress 1996.